Univ. Doz. Dr. Oswald Graf

Nachruf Univ. Doz. Dr. Oswald Graf

Auf die Bitte der Österreichischen Röntgengesellschaft (ÖRG), habe ich die traurige Pflicht übernommen, Univ. Doz. Dr. Oswald Graf, von Vielen „Ossi“ genannt, in unserem Gedächtnis, in unserem Herzen und in unserer Gemeinschaft zu verankern.

Der Schock, als ich im heurigen Frühjahr von Ossis`s Krankheit erfuhr, saß tief. Ossi wusste über die Erkrankung bestens Bescheid. Dennoch ich zitiere „aufgeben tut man einen Brief – ich werde kämpfen und den Krebs besiegen“. Der Erfolg seine Erkrankung zu erobern, ist ihm leider nicht geglückt. So ist Univ. Doz. Dr. Oswald Graf am Donnerstag, den 15. Oktober 2020 nach kurzer und tapfer ertragener Krankheit im 59. Lebensjahr an der Palliativstation des Krankenhauses in Steyr verstorben. Alle Bemühungen der sich so rührend um Ossi kümmernden Ärzte und Ärztinnen bzw. des gesamten Stationspersonals waren leider nicht von Erfolg gekrönt. Gemeinsam mit seiner Gattin Claudia und seinen beiden Kindern Christina und Philipp wurde alles versucht, um Ossi die letzten Tage seines Lebens so erträglich wie möglich zu machen.

Ossi wurde in Steyr geboren und maturierte im Jahre 1982. Nach einem Schnupper-studienjahr in Biochemie und Latein, begann er mit dem Medizinstudium 1983 an der Uni Wien. Dieses schloss er in Rekordzeit im Jahr 1989 nach 6 Jahren ab. Schon während des Studiums faszinierte ihn das damals boomende Fach der Radiologie. Bildgebende Methoden wie Ultraschall, Computer Tomographie oder MRT, die heute zur Routine gehören, wurden zu der damaligen Zeit entwickelt und waren außerhalb der Medizinischen Universität Wien kaum verfügbar. Während des Studiums erhielt er ein Forschungsstipendium, welches ihm ermöglichte, sich der radiologischen Wissenschaften zu widmen.

Nach einem kurzen Aufenthalt beim Bundesheer begann er die Ausbildung zum Facharzt für Radiologie am Chirurgischen Röntgen des AKH Wien unter der Leitung von Prof. Gerhard Lechner im Mai 1990. Auch viele Jahre nachdem Ossi die Klinik verlassen hatte und der Name Oswald Graf fiel, begann Prof. Lechner über seinen radiologischen Ziehsohn immer zu schwärmen. Ossi war laut Prof. Lechner der Rohdiamant der Radiologie von unglaublichem Ausmaß. Ossi war talentiert, zielbewusst, schnell lernend und belastbar. Wochenenddienste, die am Freitag morgens begannen und erst am Montag abends beendet waren, wurden zur Routine. Das Wort Vater-Karenz existierte noch nicht. Und trotzdem hat uns die Arbeit verdammt viel Spaß gemacht. Raunzen gab es nicht, waren wir doch Mitglied der radiologischen Kaderschmiede aus Österreich. Es gibt keine radiologische Universitätsklinik in Österreich, die so viele FachärztInnen pro Jahr ausbildet, so viele KollegInnen habilitiert und so viele Führungspositionen im Sinne von PrimaräztInnen und ProfessorInnen weltweit besetzt hat. Von Mistelbach über Wien, Graz, New York, Toronto, Stanford, Harvard und rezent Cambridge. Ossi war Teil dieser Familie und hat diesen Geist, diesen Spirit nach Steyr gebracht und in die Welt hinausgetragen.

Doch davor musste er noch Facharzt werden und auch hier schlug Ossi einen neuen Weg ein. Ein Forschungsstipendium brachte Ihn schon während der Ausbildung an die ehrwürdige Harvard Medical School. Zielstrebig wie Ossi war, nützte er diese Zeit für zahlreiche Publikationen und eignete sich Expertenwissen im Bereich der Computertomographie an. Nach seiner Rückkehr aus den USA im Jahr 1996, dachten wir alle Ossi würde in Wien bleiben um seine Klinikkarriere fortzusetzen. Angebote als sehr junger Oberarzt hatte er viele dafür.
Die Universität war ihm wichtig, doch Steyr sein Leben. So kehrte er im Sommer 1997 nach Steyr zurück und baute gemeinsam mit Dr. Walter ein Institut für Computertomographie auf. Mit diesem Schachzug erhielt Steyr die erste Computertomographie außerhalb der Oberösterreichischen Landeskrankenhäuser. Und er revolutionierte mit seinem Expertenwissen die Interpretation von CT Bildern nachhaltig zum Wohle seiner Patientinnen.

Die darauffolgenden Jahre galten der Familie und dem Aufbau der Röntgenordination. Doch die Wissenschaft hat ihn nie losgelassen. So erhielt ich im Sommer 2003 einen Anruf mit den folgenden Worten: „Servas Tom, ich bin es da Ossi! Ich habe ein paar interessante Mammographiedaten. Ich würde das gerne mit dir besprechen.“ Die Daten, die mir Ossi präsentierte, waren beeindruckend. Hatte er doch mit Beginn der Ordination begonnen, die täglichen Fälle akribisch aufzuarbeiten. Wir hatten somit einen unbezahlbaren Schatz, der zu unzähligen Publikationen in den besten radiologischen Zeitschriften (Radiology, AJR, etc.) geführt hat. Die Publikationen im Bereich der Brustkrebsdiagnostik waren so gut, dass die KollegInnen aus den USA auf Ossi aufmerksam wurden und seine Arbeit als Basis jetzt gültiger BIRADSTM Kriterien herangezogen wurden. Dieses Kunststück gelingt nur den wenigsten Europäern. Im Jahr 2006 habilitierte Ossi wohlverdient und trug seitdem mit Stolz den Titel Universitätsdozent der Medizinischen Universität Wien.

Mit dieser Kraft und Ausdauer ging es weiter und Ossi wurde zu einem heißbegehrten Vortragenden im In- und Ausland auf dem Gebiet der Brustkrebsdiagnostik. Er schrieb das Buch „Früherkennung Brustkrebs“, organsierte Kongresse und schaffte es seinen lieben Freund Prof. Laszlo Tabar, den Guru der Brustkrebsdiagnostik, mehrmals nach Österreich zu holen, um mit ihm gemeinsam Kurse abzuhalten. Die Teilnehmer dankten Ossi dies mit „standing ovations“. Bei so einem Elan war es nur eine logische Konsequenz Ossi das Zepter der Leitung der Arbeitsgruppe Brustdiagnostik der ÖRG zu übergeben. Gemeinsam mit der österreichischen Ärztekammer war er federführend für die Implementierung des Brustkrebsfrüherkennungsprogramm (BKFP) in Österreich verantwortlich und etablierte hier in Steyr das Fortbildungszentrum dafür.

Generationen von RadiologInnen pilgerten nach Steyr, wurden von Ossi ausgebildet und sind der Grundstein für das BKFP in Österreich. Viele berichteten begeistert von den scharfen Augen des Dr. Graf, der seine Expertise zu jeder Zeit und in besonders freundlicher Art und Weise weitergegeben hat.

Der von Prof. Fuchsjäger und mir organisierte Brustkongress in Pörtschach wurde zum Heimspiel für Ossi. Er hatte seine Fangruppen, die diese hohe Expertise von Ossi sehr schätzten. Im Zuge dessen haben sich auch unsere Familien kennen gelernt. Jahr für Jahr sahen wir uns am Ende des Sommers, verbrachten viele gemeinsame Stunden und sahen unsere Kinder groß werden.

Neben all dem Pflichtbewusstsein konnte Ossi sein Leben aber auch genießen und das schon während unserer gemeinsamen Ausbildung. Noch heute erinnern sich viele KollegInnen gerne an diese wunderbaren gemeinsamen Tarockier-Nächte. Unvergesslich die Szene, wo Ossi bei einem sündteuren Ausbildungskurs mit Anwesenheitspflicht in Neuss entschied, den Nachmittag fernzubleiben. „Wenn ich schon einmal in Köln bin und der FC Bayern gegen Köln spielt, dann schau ich mir das Fußballspiel ganz sicher an“. Recht hat er gehabt, keinem ist es aufgefallen und ich ärgere mich bis heute, dass ich damals nicht mitgegangen bin. Über Ossi kann man so viel sagen: er liebte exzellenten Wein, gutes Essen. Er war ein begeisterter Biker und ausgezeichneter Sportler. Es gab nur wenige Saaten der Welt die er nicht erkundet hat. Ossi war ein liebevoller Mensch und ein Unterhaltungsstar. Viele Weihnachtsfeiern habe ich erlebt – aber die unvergesslichste war die mit Ossi. Zu später Stunde nahm er seine Gitarre und unterhielt mit seinen musikalischen Einlagen 60 Personen bestens bis in die frühen Morgenstunden. Zu alle dem war Ossi ein verständnisvoller und verlässlicher Partner, wenn es um die tägliche Arbeit ging.

Bei diesen vielen Tugenden eines Menschen, bei diesen vielen PatientInnen, denen er mit seinen scharfen Augen, mit seinem Wissen und Qualitätsbewusstsein das Leben rettete, ist es ein besonderes Schicksal, dass gerade bei Ihm selbst die heißgeliebte Radiologie nicht eine frühzeitige Diagnostik seiner Erkrankung ermöglichte. Um so mehr werden mir seine aufforderten Worte immer in Erinnerung bleiben: „Tom, investiert noch mehr in die Forschung. Ihr habt die Möglichkeiten. Lasst das was mir passiert ist sich nicht wiederholen.“

Mit Univ. Doz. Dr. Oswald Graf verlieren wir einen äußerst geschätzten und höchst liebenswürdigen Kollegen, einen exzellenten Radiologen, Lehrer und Wissenschaftler, der auch persönlich eine große Lücke hinterlässt. Seine Liebe zur Radiologie, sein Engagement in die Ausbildung junger KollegInnen, seine Verlässlichkeit und seine Persönlichkeit wird uns unvergessen bleiben.

„Ossi, du wirst immer in unserer Mitte sein.“

Univ. Prof. Dr. T. Helbich
Wien, Oktober 2020

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