Martin Breitenseher ist auf wissenschaftlicher Basis hochaktiver Autor, Verleger, und durch seine langjährigen Vortragsreihen im In und Ausland bekannt geworden. Privat kann man ihn aber auch als so etwas wie radiologischen Zukunftsforscher sehen:

Mit der Eröffnung des Gesundheitszentrums Horn hat er nun ein Forum veranstaltet, an dem im Rahmen des traditionellen Herbstseminars viele Führungskräfte nicht nur radiologische Fälle diskutierten, sondern auch Ihre Gedanken über die Zukunft der Radiologie austauschten.

Im Rahmen der Veranstaltungen befragten wir den Veranstalter, Martin Breitenseher, über seine Sicht der Dinge:

Wo liegt die Zukunft?

S.g. Prof Breitenseher, lieber Martin, Du hast nun auf wissenschaftlicher Basis, als Gründer und letztendlich auch Pionier der MSK Radiologie so gut wie alles erreicht. Was gibt es denn nun noch für Ziele? Wo liegt die Zukunft?

Danke für die Blumen. Tatsächlich hatte ich das Glück in den 90er Jahren im Bereich der MSK-Radiologie wissenschaftlich auf einer eigenen Abteilung innerhalb der Universitätsklinik für Radiologie im Wiener AKH zu arbeiten. Förderlich dafür war ein breiter Zugang zur MR-Diagnostik, zu einer Zeit, wo es gerade drei MR Geräte in ganz Österreich gab. Die institutionelle Hoheit in der europäischen MSK-Radiologie ist dann von Wien nach Zürich gewandert. Mittlerweile wird die MSK Radiologie durch eine breite Aktivität auf Basis von Fachgesellschaften, wie ESSR oder DGMSR, getragen. Die Zukunft sehe ich darin, der MSK-Radiologie zwischen einerseits einer eigenständigen universitären Abteilung und anderseits der Allgemeinradiologie eine Position zuzuordnen. Was in der Pathologie bereits selbstverständlich ist, nämlich jeden einzelnen Fall optimal auszureizen und im Einzelfall einen Experten anzufragen, wäre auch für die radiologischen Subdisziplinen möglich. Ein Ziel ist es daher, ein solches Konzept zu etablieren, dass in Österreich, sowohl intra- als auch extramural, Experten für einzelne, sehr spezielle Fragen genannt werden können.

Die Tätigkeit des Buchschreibens, die ich vor über 20 Jahren begonnen habe, werde ich wieder aufnehmen. Der Eigenverlag, den meine Tochter Iris betreut, hat sich unter schwierigen Bedingungen bis heute durchsetzen können. Auch die MR Trainer Kurse, wo wir bis heute über 175 Kurstage abgehalten haben, werden wir neu aufsetzen.

Künstliche Intelligenz

Eines der wichtigsten Themen der diagnostischen Radiologie ist wohl die KI und damit stellt sich von allein die provokant aufgestellte Frage: Radiologie ohne Radiologen. Wie siehst Du das Thema? Welche Antworten gibt es darauf?

Hier gibt es eine vielleicht unerwartete und überraschende Antwort. Ich sehe die künstliche Intelligenz auch als große Zeitenwende, aber als einen Sprung nach vorne. Vor 40 Jahren wurde mit der Einführung von Ultraschall, CT und MRT die Radiologie von einem kleinen Fach zu einem Fach mittlerer Größe. Nun wird mit der künstlichen Intelligenz die Radiologie noch genauer, noch exakter, noch aufwändiger und noch größer. Letztlich wird die gesamte Medizin dadurch leistungsfähiger werden. Wichtig dabei erscheint mir, dass wir dem Thema mit positiver Energie, aber auch mit konstruktiver Kritik gegenüberstehen und auf keinen Fall den klinischen Zugang zum Patienten verlieren.

Nächste Generation

Damit auch gleich zum Thema: „nächste Generation“: Gibt es da noch etwa zum Träumen, zum Erreichen oder daran zu arbeiten? Gibt es noch Raum für die Pioniere und radiologischen Weltentdecker? Oder siehst Du die nächste Generation eher als angepasste User, welche- bestens ausgebildet- vom Home office aus, auf Stundenbasis das System bedienen.

Das ist natürlich eine spannende Frage. Für mich war die Radiologie neben einer Versorgungs- und Wissenschaftsfrage immer ein Thema der Ausbildung und Jugendarbeit. Unsere Generation, wenn ich das so despektierlich sagen darf, wir werden unter dem Titel Unbeschwertheit in die Geschichte eingehen. Unter dem Titel Unbeschwertheit war unsere Generation auch Weltmeister im Träumen und im Weltenbummeln, in einer sehr stabilen Umwelt. Davor gab es in der Generation unserer Eltern Krieg und politische Ungewissheit. Die nächste Generation wird sich mit neuen Problemen und Belastungen auseinandersetzen müssen. Für die nächste Generation finde ich es nicht minderspannend, in diesen beruflichen, privaten, politischen, medizinischen und umwelttechnischen Umbrüchen zu leben. Der berufliche radiologische Alltag wird sich ebenfalls verändern, mit mehr Flexibilität, mit Homeoffice usw., ohne den Kontakt zu Patienten, Mitarbeiter und Kollegen, wird man aber vermutlich auch nicht auskommen können und wollen.

Krankenhaus Radiologie

Wie soll die Zukunft der Krankenhausradiologie weiter funktionieren, wie sollen wir Nachtdiensträder füllen und Radiologinnen ausbilden, wenn uns die KH Radiologen abhanden gehen?

Tatsächlich haben sich in den letzten 15 Jahren, im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen, die Ärzte zwar an Köpfen, nicht aber an Stunden vermehrt. Die Ärzte machen in den Krankenhäusern 15% der Mitarbeiter aus, was bedeutet, dass die Ärzte nicht alles selber machen können, sondern Arbeit im Ausmaß von 85% delegieren müssen, auch wenn uns das oft schwer fällt. An Vollzeitäquivalenten gemessen befinden sich etwa 15% der Fachärzte in Kassenordinationen, 10% in Wahlarztordinationen oder Vertretungstätigkeit und 75% in Krankenhäusern. Genau diese Kapazität steht uns aktuell zur Verfügung. Das Hauptproblem ist aber die im Verhältnis zu den Mitarbeitern überbordende Leistungssteigerung, vor allen in den Nachtdiensten. Es wäre ein Gebot der Stunde, diese ausufernde Leistungssteigerung im Nachtdienst möglichst rasch und gemeinsam in den Griff zu bekommen. Systematisch betrachtet, könnte z.B. eine radiologische Triage, so wie an klinischen Eintrittspforten, hilfreich sein. Aber nur eine Maßnahme ist sicher zu kurz gegriffen. In Zukunft wird sich die radiologische Nachtdienst Versorgungen im Krankenhaus deutlich verändern. Ein Kombination aus Schmalspur-Nachtdienst mit Rufbereitschaft und Tele-Radiologie wird oft die einzige Möglichkeit sein. Ein weiterer Punkt ist die Nachwuchsarbeit. Nach der aktuellen Ausbildungsordnung sind die Institutsfächer gegenüber den bettenführenden Fächern im Nachteil. Eine konsequente Platzierung der Radiologie in den neun Monaten der Grundausbildung wäre mittlerweile existentiell.

Paradigmenshift

Wo liegt der nächste Paradigmenshift?

Den sehe ich beim Patienten selbst. Laut Behandlungsvertrag besteht eine Verpflichtung zur positiven Mitarbeit. Von einer positiven Mitarbeit oder einem medizinischen Verständnis, wie der eigene Körper oder Psyche funktioniert, ist sehr oft nichts zu erkennen. Die einzige Möglichkeit wäre in einem Patientenführerschein oder auch Gesundheitsführerschein gelegen. Der Bürger lernt in wenigen Monaten, was Vorsorgen und Gesundheit ist, aber auch wie er sich als aktiver Patient verhält. Mit einem Führerschein sind dann geringere Versicherungsbeiträge notwendig.

Welt von morgen

Wo liegen Deine nächsten Ziele? Was sagt der „radiologische Zukunftsforscher“ zur Welt von morgen?

Ein aktuelles und Zukunftsthema ist das Thema Umwelt und Medizin. Wir sind erstmals an der Schwelle, dass dieses Thema mehrheitsfähig ist. So wie sich das Problem exponentiell entwickelt, werden es auch die Lösungsmöglichkeiten tun müssen. Wichtig ist es, den Umweltschutz nicht als Verzicht, sondern als positive Entwicklungsmöglichkeit zu sehen. Hier sind wir auch als Energie- und Ressourcen intensives Fach in der Radiologie gefordert. Diesem Thema ist für mich ein Herzensanliegen, dem ich mich in Zukunft noch intensiver widmen möchte.

Aus dieser Idee ist auch zuletzt ein Buch aus eigener Feder entstanden. Darin wird ein Methodenvergleich zwischen Medizin und Umwelt mit interessanten Ergebnissen ausgeführt. Das Buch ist auch der aktuelle Bestseller im Eigenverlag und wird besonders gern von Radiologie als Geschenk für Freunde und Kollegen gekauft.

Eine weitere Aufgabe für die Zukunft liegt für mich im Thema Friedensforschung. Der Bezirk Horn ist Nobelpreisbezirk, vielleicht auch des wichtigsten Nobelpreises, dem Friedensnobelpreis. Die wichtigsten Schriftteile wurden hier im Bezirk vor über 122 Jahren von Berta von Suttner verfasst. Auf den Spuren dieser österreichischen Pazifistin, Fiedensforscherin und Schrifftstellerin in die Vergangenheit und Zukunft zu schauen, ist zur Zeit eine große persönliche Inspiration.

 

Aus dem  Buch:  Breitenseher  Martin, Umwelt  und Medizin1

Die Umwelt- und Klimapolitik ist trotz steigender Besorgnis noch nicht ausreichend in den Schulen und Universitäten angekommen. Eine Etablierung dieser Themen in Bildung und Wissenschaft wird für eine nachhaltige Verbesserung der Umweltproblematik unumgänglich sein. Die Abbildung zeigt, wie die Bildungsaufgaben verschiedener Institutionen verzahnt sind.

MEDIZINISCHE AUSBILDUNG & UMWELTBILDUNG

Für die Ausbildung in der Medizin und in Umweltthemen gelten vergleichbare Parameter. Ein wichtiges Prinzip der Medizin, geradezu ihr Axiom, ist „Helfen“. Helfen kann Heilen bedeuten. Wenn kein Heilen möglich ist, bedeutet Helfen auch Verbessern. Dort, wo keine Besserung möglich ist, bedeutet Medizin aber auch Linderung. Dafür verfügt die Medizin über ein Wissen, welches über Jahrhunderte und Jahrtausende gewachsen ist. So ist die lateinische Sprache noch immer in der Medizin vertreten.

Was die Medizin besonders auszeichnet, ist eine kontinuierliche Entwicklung basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und eine Verbesserung mit immer neueren und besseren Diagnose- und Therapiemöglichkeiten. Mittlerweile gibt es Dutzende Fachbereiche und Hunderte medizinische Berufe. Die Medizintechnik hat sich zu einem leistungsfähigen Sektor entwickelt. Schafft es ein Thema, ausreichend wissenschaftlich behandelt zu werden, so ist auch die konkrete Umsetzung zu erwarten.

Medizinisch-wissenschaftliche Studien entstehen in einem weltweiten Wettbewerb, bei dem sich die bessere Idee durchsetzen soll, die höherwertige Publikation und damit die wirksamste Verbesserung. Dieses Wissen speist wiederum die medizinische Ausbildung in allen Ausprägungen und die medizinische Anwendung in allen Formen.

Die Zeitspanne von der Erforschung medizinischer Probleme über den Erkenntnisgewinn bis zu ihrer Umsetzung in anwendbare Technologie ist manchmal atemberaubend – heutzutage umfasst diese Phase manchmal nur Monate oder nur wenige Jahre. Nach einem Jahr COVID-19 gab es bereits unzählige wissenschaftliche Publikationen, die zur Entwicklung eines Impfstoffes und zur Bekämpfung der Pandemie beigetragen haben. Wie verhält sich dieser Faktor Geschwindigkeit im Bereich der Umweltwissenschaften?

Was darf man sich bei dieser Performance in der Medizin jetzt beim Thema „Umwelt“ erwarten? Wird das Fach „Umwelt“ in der Schule von der ersten bis zur letzten Klasse ausreichend und dem zukünftigen Stellenwert entsprechend unterrichtet? Ist das Umweltthema bereits an den Universitäten angekommen?

Selbst in den sogenannten hochentwickelten Ländern gibt es kein durchgehendes Schulfach zum Thema Umwelt. Wie lange können wir noch warten, um das wahrscheinlich wichtigste Fach für unsere Zukunft zu installieren? Ist das „interdisziplinäre Schwerpunktthema Umwelt“ an den Universitäten zukunftssicher? Kann das Umweltthema an den Universitäten als Hauptfach dienen oder ist weiterhin eine Nebenrolle ausreichend? Darf sich die Umweltindustrie auf die kurzfristigeren, profitablen Themen konzentrieren oder wäre hier eine längerfristige Herangehensweise mit stärkeren Universitäten nicht das langfristig bessere Konzept? Die Umwelt darf kein Spielball sein, weder tagespolitisch noch in weiterer Zukunft, sie muss eine konsequente und ernsthafte Verbesserung und auch Heilung erfahren. Um dies zu ermöglichen, können nur Bildung und Wissenschaft als langfristige und nachhaltige Werkzeuge im Kampf gegen die Zerstörung unserer Welt helfen.

Referenzen

Universität Wien – Österreichisches Kompetenzzentrum für Didaktik der Chemie. Aufgaben und Ziele.
Online: https://aeccc.univie.ac.at/ueber-uns/au(gaben-und-ziele/ (abgerufen am 11.1.2022).

1 © Alle Texte und Bilder wurden vom Autor Martin Breitenseher zur Verfügung gestellt

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